Allgemein, Wir über uns, Zukunft der Medien
Boris Bittner, Redakteur im Deutschlandradio und Mitglied im Lab-Team
11.03.2016

Meinung: Weg mit dem digitalen Rasenmäher!

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Crossmedia Tag Leipzig beim MDR vergangene Woche. Trimedial, digital, sozial, crossmedial sind die üblichen verdächtigen Denkvorgaben. Ob TV, Funk, Verlag, alle wollen in den großen digitalen Garten und allen Inhalt multimedialisieren, um mitzuhalten. Das ist Unsinn. Digitaler Wandel? Ja, unbedingt notwendig. Gerade für uns Öffentlich-rechtliche. Aber bitte nicht mehr mit dem Rasenmäher. Nicht jeder Inhalt eignet sich für jeden digitalen Ausspielweg. Ein Plädoyer.

Als Teammitglied im Deutschlandradio Labor habe ich mir mittlerweile unzählige Vorträge zum digitalen-multimedialen Wandel angehört und angesehen. Das ist insofern sinnvoll, weil es da draußen Fachmenschen mit Wissen gibt, das wir noch nicht haben bzw. hatten. Die Hausaufgabe unseres Labors und wohl jedes Labors und Medienhauses ist es aber NICHT, jeden erdenklichen Trend und jede Plattform blindlings mitzumachen, nur um dabei zu sein. Das mag am Anfang noch spannend und sinnvoll gewesen sein, um Neues auszuprobieren. Und das bleibt sinnvoll, wenn sich Technologien und Plattformen ändern oder hinzukommen. Stillstand wäre Stillstand.

Nach einem Crossmediatag in Leipzig aber – und das ist kein Affront gegen die VeranstalterInnen oder ReferentInnen, die das großartig organisiert haben – bleibt: Im digitalen Westen wie Osten nichts wirklich Neues. Manche sind mittendrin im Wandel und bauen schmerzhaft gegen die eigenen Verkrustungen um und an, andere sind noch erstaunlich weit entfernt von der digitalen Welt und nutzen den offenbar ganz neuen Input. Der Eindruck, den ich mit nach Hause nehme: Alle wollen alles und verzweifeln an der schieren Masse der Aufgaben und zur Verfügung stehenden digitalen Ausspielwege. Newsdesks werden eingerichtet, jede Redaktion wird angehalten, unbedingt auf jeder Plattform mitzuspielen. Zukunftsangst durchfrisst den digitalen Ansatz. Wenn Andere das machen, dann müssen wir das doch auch?

Nein. Drei Thesen:

 

  1. Nicht jeder Inhalt eignet sich für jeden Ausspielweg.
  2. NutzerInnen nutzen nicht unisono jeden verfügbaren Ausspielweg. Sie ertrinken genauso wie wir MacherInnen in der schieren Medienmasse. Man kann nur so und so viel Kuchen vom Buffet essen, bevor man satt ist. PodcasthörerInnen sind nicht notwendigerweise LinearhörerInnen oder Social-Media-NutzerInnen. Wer lieber Fernsehen guckt, springt nicht unbedingt reflexhaft ans Tablet für Zusatzinformationen, wenn das eine Moderatorin empfiehlt.
  3. NutzerInnen und HörerInnen sind, nunja: faul. Sie wollen nicht ständig entscheiden=personalisieren müssen. Sie wollen ein gutes Programm, egal in welchem Ausspielformat, auf sie zugeschnitten und vorkonfektioniert. Oder aber sie wollen einfach nur ihr Lieblingsformat so einfach wie möglich konsumieren und gut. Verschon mich mit dem Rest.

 

Generationsübergreifende Teamarbeit: Ann-Kathrin Büüsker, Deutschlandfunk, und der Autor beim Crossmediatag Leipzig (Foto: Crossmediatag, Marcus Brodt)

Generationsübergreifende Teamarbeit: Ann-Kathrin Büüsker, Deutschlandfunk, und der Autor beim Crossmediatag Leipzig (Foto: Crossmediatag, Marcus Brodt)

 

Die Lösung? Individuell und inhaltsgetrieben. Denkfragen:

 

  1. Bringt eine zusätzliche Visualisierung des Inhalts einen wirklichen Mehrwert für NutzerInnen – was durchaus der Fall sein kann? Bauen wir tolle Storytellingprojekte für die NutzerInnen – oder uns?
  2. Welcher Ausspielweg eignet sich wirklich für den Inhalt? Braucht ein Audioformat unbedingt eine Textbegleitung=die viel diskutierte Programmbegleitung? Muss ein Onlinezeitungsbeitrag auch zwingend als Audio oder Video angeboten werden?
  3. Sind Facebooker und Twitterer und Instagramer und Snapchatter und YouTuber und (Platzhalter für noch nicht entwickelte Plattformen) überhaupt an diesem Inhalt interessiert? Ist er diskussionwürdig?
  4. Muss aus allem und jedem eine neue Plattform oder App entstehen? Wie viele Plattformen und Apps nutzen Sie so? Warum sollte der Durchschnittsnutzer mehr als Sie nutzen?
  5. Wissen wir eigentlich wirklich etwas über das Nutzungsverhalten da draußen?

Nicht falsch verstehen: Wir können nicht wissen, ob etwas funktioniert, bis wir es ausprobieren. Scheitern ist und bleibt reale Option und gehört zur Weiterentwicklung dazu. Aber für jedes Format jeden Ausspielweg förmlich zu erzwingen halte ich für unsinnig. Gerade dort, wo der digitale Wandel schwierig zu bewältigen ist, weil es die bisherigen Workflows und Strukturen und Ressourcen noch nicht hergeben, gilt: Setzt euch zusammen und überlegt genau mit und für das betreffende Format, was sinnvoll  ist. Dort, wo die Taktung hoch und das Personal begrenzt: Setzt digital versierte KollegInnen mit an den Planungs- und Produktionstisch. Ein fertiger Inhalt, der nachträglich multimedial gedacht wird, ist eine Notlösung. Nur, wer abteilungsübergreifend auf Augenhöhe arbeitet, unabhängig von Alter, Erfahrung und Position, kommt insgesamt weiter.

Auch ohne Rasenmäher.