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Max Hoppenstedt berichtet über "Motherboard" (Foto: Boris Bittner)
Max Hoppenstedt berichtet über "Motherboard" (Foto: Boris Bittner)
30.11.2015

Motherboard, Darknet und Dokus von dbate.de – Round-Up des Lab-Panels bei #formate15

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Politischer und investigativer Journalismus ist längst nicht mehr exklusiv in öffentlich-rechtlichen oder privaten Medienhäusern verortet. Kleine Anbieter im Netz agieren ohne die Schwerfälligkeit des „großen Apparats“ als basisdemokratisch-journalistischer Gegenentwurf, dessen Quellen entweder in den dunkelsten Untiefen des Netzes – oder bei ganz normalen Menschen zu finden sind.

Beim Lab-Panel „Politischer Journalismus im Netz“ beim „Forum des Politischen“ #formate15 des Deutschlandfunk und der Bundeszentrale für politische Bildung in der Bundespressekonferenz in Berlin  stellten Redaktionsleiter Max Hoppenstedt den investigativen Tech-Journalismus von Motherboard und Stephan Lamby seine Produktionsfirma dbate.de vor, die Dokumentationen auf unkonventionelle Art realisiert. (Bevor wir loslegen: Bei der Audioaufnahme gab es Schwierigkeiten, weshalb ich Ihnen die Tonqualität erspare.)

Motherboard – in den Worten des Redaktionsteams – „ist die redaktionelle Online-Plattform von VICE mit eigenem Videokanal für Technologie, Wissenschaft und Kultur. Jenseits blinder Technik-Euphorie berichten wir über die merkwürdigen, markanten, banalen und bahnbrechenden Technologien des Lebens, über die ihr wirklich Bescheid wissen solltet.“

Beispiele für Motherboard-Beiträge sind „Der König des Kriegspornos“ über Soldaten als YouTube-Korrespondenten, „Die DIY (Do it yourself) Drohnenschmiede der Ukraine“, „Vom Darknet-Auftritt des IS ist nur noch eine Werbung für Potenzmittel übrig“, usw. Anmerkenswert das Interview mit den Hackern, die die Nutzer-Daten der Seitensprungseite „Ashley-Madison“ offen gelegt hatten und damit eine weltweite Diskussion auslösten.

Die Quellenlage, räumt Max Hoppenstedt ein, ist dabei oft schwierig – weil es oft nur eine Quelle gibt, deren Glaubhaftigkeit oft nur über Umwege zu verifizieren ist. Hoppenstedt versichert aber Transparenz in solch unsicheren Fällen.

Motherboard hat auch eine eigene Doku über das sogenannte Darknet produziert. Dort tummeln sich Seitenanbieter, die die öffentliche Indizierung durch Suchmaschinen wie Google umgehen. Beispielsweise über „Anonymisierungsnetzwerke wie ‚Tor‘, dass es den Usern durch IP-Adressen-Verschleierung und eine lange Server-Verbindungskette ermöglicht, das Risiko überwacht zu werden, drastisch zu minimieren“.

Dieses „Deepweb“,  erklärt Motherboard „wird deshalb von Usern auch dafür genutzt, um weitgehend sicher und anonymisiert illegalen Geschäften nachzugehen, Diskussionen über Kindesmissbrauch zu führen oder um sich über zensierte Themen zu informieren. Gleichzeitig finden sich aber auch zahlreiche weniger düstere Seiten im Darknet, dass nicht zuletzt für Dissidenten in Ländern im Angesicht restriktiver Überwachung zu einer entscheidenden Kommunikationsplattform werden kann“.

Auch Stephan Lamby bedient sich ungewöhnlicher Recherchewege für sein Projekt dbate.de. Lamby, wie er selbst sagt, „klassischer Fernsehjournalist“, fragte sich beim Fukushima-Tsunami vor ein paar Jahren, wie er schnell an Material kommen könnte. Eine Vor-Ort-Berichterstattung ging aus vielerlei Gründen nicht, stattdessen griff man auf existierendes YouTube-Material zurück und führte Interviews über Skype. Eine Produktion vom Schreibtisch in Hamburg: „Überlebende der Katastrophe von Japan berichten von ihren Erlebnissen und zeigen Videoaufnahmen, die sie in Augenblicken größter Not selbst gedreht haben.“ Es entstand das Genre „Videotagebuch“, auch die Maidan-Krawalle und die Gezi-Park-Proteste in der Türkei wurden auf diese Art und Weise realisiert.

dbate.de hat mittlerweile einen eigenen Kanal auf Spiegel Online, Formate werden lizenziert an Häuser wie ZDF Info. Lambys Interview mit Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl vor 12 Jahren wurde auch auf dbate.de veröffenlicht – als ungeschnittene Version von sechs Stunden. Lamby konnte auch Wolfgang Schäuble ein Jahr lang begleiten während der Verhandlungsphase mit dem kriselnden Griechenland.

Das Spektrum erweitern außerhalb des Formatfernsehes, den Rundfunk nicht als Distributions-, sondern, angelehnt an eine Maxime Bertolt Brechts, auch als Kommunikationskanal begreifen: Das ist Lambys Anspruch.

Im Zuge des Panels werden solche unkonventionellen Recherchemethoden und Quellenlagen durchaus diskutiert und hinterfragt. Nicht von der Hand zu weisen aber ist, dass neben den etablierten Journalismus-MacherInnen auch neue Anbieter auf den Markt drängen. ProduzentInnen, die einst das Publikum waren oder noch sind – und heute selbst BerichterstatterInnen sind oder werden wollen.

Überhaupt ist die von Vielen kritisierte und gefürchtete Demokratisierung des Journalismus – das Mitwirken des Publikums, sei es als Diskussionspartner oder Quelle – ein anmerkenswerter Aspekt des „Forum des Politischen“ in Berlin. Zusammenfassungen und Einzelinterviews mit überaus interessanten Gästen gibt es im Berlin-Brüssel-Blog des Hauptstadstudios des Deutschlandradio und im Vimeo-Channel des Lab.