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Podium auf der Tagung "Digital Total" in Leipzig (15-16.10.2015)
20.10.2015

Digital Total: Die Öffentlich-Rechtlichen in der Internetgesellschaft

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Internet, Videoportale und soziale Netzwerke nehmen einen ständig wachsenden Anteil unseres Zeitbudgets in Anspruch.  Die Big Player der Internet-Welt definieren unseren Medienkonsum neu und machen uns eine Flut neuer Inhalte zugänglich. Wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland auf diesen globalen Wettkampf reagieren können, darum ging es auf der zweitägigen Tagung von ver.di und dem DGB. In Leipzig wurde aber nicht nur über die Big Player gesprochen, sie meldeten sich auch selbst zu Wort.

Jan Kottmann, Leiter der Medienpolitik bei Google Deutschland, beschrieb am Beispiel des konzerneigenen Videoportals „Youtube“, wie dramatisch sich das Verhältnis der Content-Produzenten zum Publikum gewandelt hat. Mit monatlich mehr als einer Milliarde Nutzer ist Youtube das weltweit größte Videoportal.

„Für Youtuber sind Zuschauer weniger Publikum als vielmehr Fans, die selber entscheiden wollen, was und wann sie sehen. Diese Fans wollen teilhaben, sharen und kommentieren“, so Kottmann. Für die Produzenten habe diese neue Konstellation unmittelbare Auswirkungen auf ihr Geschäftsmodell, das zur Zeit noch vor allem durch Werbeclips und Sponsoren finanziert werde. Aber selbst scheinbare Nischenangebote hätte auf Youtube um Größenordnungen mehr Zuschauer als manche als erfolgreich gefeierte klassische Fernsehserie. Zahlreiche Youtube-Ableger erfolgreicher TV-Formate würden dennoch zeigen, dass auch das klassische Fernsehen von dem Wandel profitieren könne, erklärte Kottmann.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich klassisches Fernsehen und Online-Videos tatsächlich kaum kannibalisieren, lieferte Susanne Müller vom ZDF. Die Leiterin der Spielfilm-Redaktion resümierte die Erfahrungen, die das ZDF mit der „Online First“ Strategie bei der Krimiserie „The Team“ gesammelt hat: Zwei Wochen vor dem offiziellen Fernsehstart war die Serie in der ZDF-Mediathek verfügbar und kam so auf eine Million Aufrufe noch vor der offiziellen TV-Premiere. Hier waren es vor allem jüngere Zuschauer, die von dem Angebot  Gebrauch machten.

Mit der anschließenden regulären Ausstrahlung erreichten die vier Episoden der Miniserie insgesamt 13 Millionen Zuschauer, ein sehr passabler Wert. Susanne Müllers Fazit: „’The Team‘ hat uns gezeigt, dass sich TV und Online nicht beschädigen.“ Müller plädiert dafür, weitere Produktionen vor der offiziellen TV-Premiere in der Mediathek verfügbar zu machen. „Diese beiden Nutzergruppen ergänzen sich sehr gut“, so Müller. In der Summe werde so ein größeres Publikum erreicht.

Priorität: Multimediale Angebote – und keine Angst vor heiklen Themen

Deutlich wurde auf der Tagung in Leipzig, dass der Ausbau multimedialer Angebote innerhalb der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten höchste Priorität genießt.

Doch können sie damit gegenüber den Big Playern aus den USA bestehen? Zumindest die demokratische Notwendigkeit eines unabhängigen Rundfunks bleibe bestehen, davon ist die Medienwissenschaftlerin Prof. Barbara Thomaß von der Ruhr Uni Bochum überzeugt: Die Öffentlich-Rechtlichen seien als Gegengewicht zu dem global orchestrierten, durchkommerzialisierten Medienangebot der Konzerne unverzichtbar, so Thomaß: „Die Produkte der Öffentlich-Rechtlichen  sind ein gesellschaftlich sinnvolles Gut und gehören zur öffentlichen Daseinsvorsorge“, so die Forscherin. Sie stünden für eine „kommunikative Bürgerschaftlichkeit“ im Unterschied zu den allein marktgetriebenen Medienangeboten.

Allerdings müssten die Sendeanstalten die Bürger noch viel intensiver als bisher von der Wichtigkeit ihrer Rolle überzeugen. Thomaß fordert, dafür mit einer „Vision 2020“ einen überprüfbaren Rahmen zu schaffen: „Gerade, was die Publikumsorientierung betrifft, müssen sich die Öffentlich-Rechtlichen noch viel besser aufstellen und die Unterschiede zu kommerziellen Anbietern noch stärker herausarbeiten“, sagte Thomaß. Das Publikum für kritischen und freien Meinungsaustausch sei jedenfalls da, aber es werde noch zu wenig angesprochen.

Mehr Mut bei den Online Angeboten der Öffentlich-Rechtlichen wünscht sich daher auch Jan Quickels, Leiter des Social-Media-Bereichs beim WDR. Ob Ukraine-Krieg, „Lügenpresse“-Debatte oder der Streit um den Rundfunkbeitrag: „Die Öffentlich-Rechtlichen sollten vor heiklen Themen nicht zurückschrecken“, so Quickels. Die Praxis zeige, dass es gerade Kontroverse Themen seien, die dem WDR etwa bei seinen 2,7 Millionen Facebook-Followern die angestrebte Reichweite brächten.

Schließlich gehe es nicht darum, sich ein Ja-Sager Publikum heranzuziehen, ergänzte Sabine Nehls vom DGB mit einem Seitenhieb auf den  Google-Mann Jan Kottmann: „Wir möchten nicht nur Fans, sondern unabhängige, kritisch denkende Menschen“, so Nehls.

Weiterführender Hintergrundbericht über die Tagung auf rundfunk.verdi.de

Kommentare zu diesem Beitrag (2)

  1. Stammhörer | 2. November 2015, 11:27 Uhr

    Getretener Quark wird breit, nicht stark

    Bitte sehr, hier eine kritische, unabhängige Meinung:
    Ich höre Ihre Programme. Oft. Im altmodischen, analogen Radio. Der Hype, der hier und anderswo bezüglich der Angst, den Anschluß zu verlieren, generiert wird, ist langsam unerträglich.
    Wen wollen Sie eigentlich erreichen? Den qualifierten, gebildeten Hörer, der seit vielen Jahren ihre Stammklientel ausmacht oder konzentrationsschwache Jugendliche und solche, die sich dafür halten?
    Diese ganzen sinnlosen Digitalspielzeuge sind doch keine Übermittlungskanäle für erwachsene, halbwegs gebildete Menschen, die Informationen aus Politik und Kultur sowie gehobene Unterhaltung von Ihnen bekommen wollen und mit Ihren Beiträgen finanzieren. Produzieren sie das, was sie können: Qualitätsrundfunk. Kein „YouTube“, kein „Twitter“ und erst recht kein „Facebook“.
    Bitte hören Sie auf, hier eine völlig verfehlte Allokation von Mitteln und Bemühungen zu betreiben und konzentrieren sich lieber darauf, inhaltlich und qualitativ ein Vorbild und Leitmedium zu sein, wie wir es von Ihnen gewohnt sind.
    Und, mit Verlaub, den Niedergang in der Einschätzung von Wichtigkeit erkennt man auch daran, daß sie es offenbar für Ihre Mitarbeiter als Qualifikation ansehen, daß diese als Kinder im Kaufhaus mit Computern gespielt haben
    Das ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.

    Ich kann nur den Kopf schütteln über soviel Trendgeilheit.