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30.07.2015

Radiohören als Kulturtechnik. Wie Mediatheken zu Findmaschinen fürs Hören werden. Immer. Überall

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Mediatheken sind eine Glaubensfrage. Brauchen wir sie eigentlich? Oder benötigen wir nur den perfekten Artikel, die perfekte Suche, den perfekten Empfehlungsalgorithmus? Nein, wir brauchen Mediatheken, echte Radiomediatheken, sie leisten etwas komplett anderes als Fernsehmediatheken. Sie sind zeitgemäße Interfaces, um Radiohören als Kulturtechnik im 21. Jahrhundert weiterzuentwickeln. Einige Überlegungen.

Sicher ist, nur sehr wenige Nutzerinnen und Nutzer werden abends ihren Laptop aufklappen und gezielt nach Radiosendungen suchen. Das gezielte Interesse gibt es zwar, doch diese Userinnen und User abonnieren häufig Podcasts und die entsprechenden Podcatcher.

Fernsehangebote werden in der Regel anders genutzt. Gerade wenn TV-Screens über den Chromecast oder Apple-TV angeschlossen sind. Auch ist die Durchschnittslänge einer TV-Sendung deutlich höher. Dadurch bringen Nutzerinnen und Nutzer eine höhere Bereitschaft mit, zwei oder drei Abendstunden mit wenigen Klicks zu gestalten. Nach dem Krimi noch eine Reportage, danach vielleicht doch noch die „tagesthemen“ oder das „heute journal“.

Screenshot ZDF Mediathek

Radiohörerinnen und -hörer suchen ein ganz anderes Angebot. Sie werden eine echte Radiomediathek nicht nur abends nutzen, sondern zu jeder Zeit – und vor allem überall. Höchste Zeit also über diese Radiomediathek nachzudenken.

Wer dafür nach Vorbildern sucht, findet sie überall – nur eben nicht in den Onlineangeboten von TV-Sendern. Und leider sind die meisten Radiomediatheken Stiefgeschwister von TV-Mediatheken. Von den wenigen Ausnahmen wie der mittlerweile berühmten NPR One App oder dem Angebot von WNYC mal abgesehen.

Screenshot NPR One

Aber wer sind eigentlich diese Nutzerinnen und Nutzer? Unsere Hypothese lautet: Menschen, die regelmäßig Radio hören, Radiomarken kennen, vielleicht sogar das jeweilige Programmschema. Sie interessieren sich für bevorzugte Sendungen, bevorzugte Themen, vielleicht auch bevorzugte Stimmen. Sie stellen sich schon heute eigene Programme auf Basis von Audio on Demand-Angeboten der Programmanbieter oder mit Hilfe von Podcatchern zusammen.
Diese Zielgruppe bewegt sich mit einer gewissen Sicherheit im Netz, nutzt auch TV-Mediatheken oder Streamingangebote wie Spotify oder Netflix. Das sind die Interfaces, die Benchmarks setzen.
Diese Zielgruppe hat einen wachsenden Bedarf an personalisierten Angeboten. Unter zeitsouveränem Hören verstehen sie , ihre Themen zu einem beliebigen Zeitpunkt an einem beliebigen Ort abzurufen. Das ist die Kulturtechnik Radiohören, die wir bedienen müssen.

Dieser grob skizzierte Bedarf muss durch eine Radiomediathek bedient werden, die vom Nutzer aus gedacht wird – nur vom Nutzer aus. Auch wenn das in der Umsetzung größere Herausforderungen nach sich zieht wie z.B. eine Grundlage aus strukturierten Daten mit Audios, die über umfangreiche Metadaten verfügen. Doch alle anderen „Mediatheksangebote“ sind in Wahrheit Audiobibliotheken mit einer entsprechend bibliotheksartig Benutzeroberfläche.

Was ist die Userstory dieses Radionutzers? Warum kommt er überhaupt auf die Idee, eine Radiomediathek anzuschmeißen?

Die Antwort ist einfach – irritierend banal. Er oder sie will Radio hören. Nur nicht das, was gerade im linearen Programm läuft. Radio hören heißt, Inhalte hören, während wir Auto fahren, kochen, joggen oder die Wohnung aufräumen. D.h. die Radiomediathek muss die Kulturtechnik „Radiohören“ themengetrieben anbieten.

Ein Nutzer interessiert sich für Wissenschaft, vielleicht genauer für Biologie und alles rund um bestimmte Erkrankungen. Eine Nutzerin interessiert sich für Sport, vielleicht Sportpolitik, den Korruptionsskandal bei der FIFA. Diesen Nutzern müssen wir eine Kollektion von Beiträgen ermöglichen, die wie ein Radioprogramm ablaufen – ein personalisierter Stream. Wir nennen ihn „Mein Radio“.

DRadio Mediathek Desktop

Auf Basis von Kategorien, Unterkategorien und Schlagworten muss ein User zukünftig eigene Streams zusammenstellen können. Je nach Bereitschaft kann das sehr grobkörnig stattfinden, indem ein User einfach nur ein Ressort oder eine Kategorie auswählt und sich Inhalte nach Aktualität abspielen lässt – oder er bzw. sie kann sehr feinkörnig Themen abfragen, die auch noch nach Datum oder Länge des Beitrags oder sogar nach Herkunftsressort sortiert werden.

Dabei folgen die Interfaces dem Motto maximale Vereinfachung – mit der Chance für die ambitionierten Nutzer, erweiterte Einstellungen vorzunehmen. Die Angebote im Desktopbereich, den mobilen Seiten sowie einer entsprechende App müssen dabei von ganz unterschiedlichen Nutzungssituationen ausgehen. Mobil und gerade in der App möchte der User extrem schnell zu seinem Stream gelangen. Aus diesem Grund werden wir hier das Startinterface maximal reduzieren müssen. Anders ist das im Desktopbereich. Hier werden wir unmittelbar auch Suchen und Podcasts anbieten können.

DRadio Mediathek App Auswahl

DRadio Mediathek App Start

Dabei ist die Konzeption und die Gestaltung der Interfaces verhältnismäßig einfach. Die eigentliche Herausforderung ist die Strukturierung der Daten. Denn nur strukturierte Daten werden sich auf Basis von Kategorien oder Schlagworten finden lassen. Oder sogar von Empfehlungsalgorithmen z.B. in einer App an die Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer angepasst.

Die Vergabe dieser Kategorien und Schlagworte (und zukünftig vielleicht auch der Geo-Daten oder anderer Metadaten) ist dabei eine ausschließlich redaktionelle Leistung. Wir werden intensiv daran arbeiten müssen, dass die Vergabe dieser Metadaten zukünftig so leicht wie möglich wird. Erst dann werden wir die Reichweite der Angebote angemessen steigern können. Erst dann wird die Nutzung von Radiomediatheken (oder wie auch immer diese Interfaces schließlich genannt werden) smart sein. Erst dann werden wir zeitgemäße Findmaschinen für unsere hochwertigen Inhalte anbieten können.

Co-Konzeption und Wireframes: Arjan Dhupia

Kommentare zu diesem Beitrag (2)

  1. Rainer | 25. August 2015, 9:36 Uhr

    meine persönliche kulturmediathek

    zu einer guten mediathek gehört nicht nur, dass man beiträge (senderübergreifend!) sammeln kann (ich versuche das, mithilfe von rss-feeds für mich zu bündeln), sondern auch, dass die beiträge als podcast downloadbar UND auf dem smartphone wiederfindbar sind.die podcasts von deutschlandradio sind derzeit mit einer extrem sperrigen namenskonvention „verschlüsselt“ und sind nach dem download anhand ihrer namen nicht erkennbar. meine anfrage an DR, das zu ändern, wurde abschlägig beschieden.

    meine podcasts, die ich mehr oder weniger regelmässig höre:
    – rang 1 (theatersendung), DR
    – zeitzeichen, wdr

    schon hier kann ich nicht alle beiträge hören, es fehlen die gelegenheiten, da ich diese beiträge nebenbei NUR auf reisen oder gelegentlichen längeren spaziergängen (im alleingang) hören kann. nebenbei geht gar nicht 😉

    mfg
    rainer

    • Boris Bittner | 25. August 2015, 14:42 Uhr

      Lieber Herr Glaap,

      wir hatten darüber gemailt und das Problem hoffentlich gelöst. Viel Spaß mit unseren Podcasts!

      Beste Grüße,
      Boris Bittner