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24.03.2015

„Die Hörer können dich fallen lassen“ – Die Radiodays Europe 2015 in Mailand

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Die Radiodays Europe bieten so viel Programm, dass ein Plan her muss, der hilft, in dem riesigen Angebot nicht unterzugehen (dabei unterstützt übrigens die Tagungs-App – schöner Service). Meine „Forschungsfragen“ für die Konferenz in Mailand: Wo stehen wir bei der Verbreitung (UKW, DAB, IP-Audio)? Was müssen wir tun, um den Generationen-Abriss zu vermeiden (Apps, Social Media, YouTube, Analytics)? Und natürlich: Was sind eigentlich die Stärken von Radio, die wir – egal, über welchen Verbreitungsweg – immer ausspielen sollten?

Antworten auf all diese Fragen enthielt der Vortrag von Helen Boaden, Hörfunkdirektorin der BBC, am Auftaktabend der Radiodays. „Meet the Media Guru“ heißt die Reihe, die vor zehn Jahren in Mailand „gegründet“ wurde und sich im weitesten Sinne mit digitaler Technologie und ihren kulturellen Folgen beschäftigt. Anmoderiert wurde Boaden auf Italienisch (das ich nicht wirklich kann) mit dem Hinweis, dass Radio an sich ja schon ein soziales Medium sei, insofern es den Dialog ermögliche. Das müssten die Radiomacher einfach nur nutzen.

Die BBC-Hörfunkdirektorin Helen Boaden (Foto: imago/Italy World Press)

Die BBC-Hörfunkdirektorin Helen Boaden (Foto: imago/Italy World Press)

BBC-Hörfunkchefin Boaden: Es geht um gutes Geschichten-Erzählen

Sie sei mit einer Kindersendung im Radio aufgewachsen, erzählte Helen Boaden, der sie regelmäßig eine Viertelstunde lang zugehört habe. Das sei ihre Radio-Sozialisation gewesen. 1983 habe sie dann bei der BBC als Journalistin angefangen. Damals hätten sich sechs Journalisten ein Telefon geteilt (ungläubiges Raunen bei den Zuhörern). Egal, wie sich die Bedingungen inzwischen verändert hätten, eins sei gleich geblieben: Es gehe um gutes Geschichten-Erzählen, und dazu eigne sich das Radio hervorragend.

In den 90ern war Helen Boaden Chefin von Radio 4 und ließ am Tag nach Weihnachten Harry Potter von Stephen Fry vorlesen. Das Ergebnis: Die Hörerzahlen gingen in der eigentlich fürs Radio „toten“ Nachweihnachtszeit rasant nach oben. Für Boaden der Beweis, dass ihre „Storytelling“-Vermutung richtig ist.

Innovation im Multimedia-Newsroom

Sogar im eigenen Haus wendet sie das Mittel „Geschichten-Erzählen“ an. Sie habe einen komplett integrierten Multimedia-Newsroom aufgebaut mit einem tollen Team, das übrigens zu 60 Prozent aus Frauen bestand, was immer gut sei, wenn es um Teamplay gehe. Damit das anfangs sehr skeptisch betrachtete Projekt klappen konnte, habe es einer starken Geschichte (narrative) bedurft. Diese bestand darin, die Hörerschaft zu stärken mit Produkten, die in diesem Newsroom entstanden. Um die Mitarbeiter zu überzeugen von ihrer Geschichte, habe sie einen sehr hohen kommunikativen Aufwand betrieben (allein über 30 „lunchtime sessions“ mit dem mittleren Management).

„Digital innovation is essential to keep radio relevant, but it is only half the story. When choice proliferates and competition intensifies, high-quality, distinctive content will become even more important.“ Helen Boaden

Wichtig sei es, sich in strategischen Prozessen wie etwa der Digitalisierung klar zu machen, wo im Markt das eigene Unternehmen stehe. Die folgende nicht besonders gut lesbare Folie zeigt oben links die BBC-Radio-Programme, unten links Fernseh-Anbieter, und rechts die großen Player im Digitalgeschäft Google und Amazon, und allein die Größenverhältnisse sollen hier den Lerneffekt erzeugen. Selbst die große BBC ist da ganz klein:

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Radio: Nebenbeimedium mit Alleinstellungsmerkmal

Also geht es um die Alleinstellungsmerkmale von Radio. Ein Stichwort lautet hier „Nebenbeimedium“. Zeitschriften könne man während des Autofahrens nicht lesen, weshalb z.B. der „Spectator“ seine Artikel sehr erfolgreich als Podcasts anbiete. Was aber tun, wenn das Radio von Jugendlichen gar nicht mehr wahrgenommen wird? Dorthin gehen, wo die Jugendlichen sind, nämlich auf YouTube. Die BBC-Jugendwelle Radio 1 ist dort sehr erfolgreich. Warum? Weil auch die jungen Leute merkten, was Qualität ist: Sie trauten guten DJ’s und Moderatoren wie Zane Lowe, den Apple gerade von Radio 1 „weggekauft“ hat. Für Boaden ein Beweis dafür, wie gut Audio im Wettbewerb der weltweiten Marken da steht.

Ein paar der Versuche, die die BBC unter Boaden gestartet hat, um die Radioprogramme zu stärken: BBC-Playlister, ein visuelles Radioprogramm mit Musik der 80er gegen die Fußballübertragungen gesetzt, um Menschen anzusprechen, die sich nicht für Fußball interessieren; „Pop-up-Radiostationen“ via DAB, etwa zum Eurovision Song Contest 2014, in diesem Jahr für Country-Musik (jeweils für wenige Tage); Übertragung der Proms in Megasound-Qualität für anspruchsvolle Hörer.

Boaden: Achtet auf die Kernkompetenz des Mediums

Boadens Botschaft: Programm-Macher, überlegt euch, was die Kernkompetenz des Radios ist: Reputation, Personalisierung, Inhalt. Radio ist ein täglicher Begleiter, biete Komfort und Humor für seine HörerInnen. Für die Hörerschaft „wonderful events“ kreieren (wie eben die Harry-Potter-Lesung), Emotionen hervorrufen.

Und immer dran denken: „You can’t sack the audience, but they can sack you.“