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Ross Mantle for NPR
13.02.2015

Herausfinden, wie Radio aussieht

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Seit Dezember ist der Deutschlandfunk auf Instagram aktiv. Ein Radiosender auf einer Fotoplattform. Ja, das macht Sinn. Endgültig begriffen habe ich das, als ich vor einigen Wochen einen Vortrag über Fotografie auf einer Radio-Konferenz gehört habe.

Ich bin voller Vorfreude: Zum Third Coast International Audio Festival wollte ich schon lange mal. Auf der Konferenz in Chicago treffen sich hunderte Radiojournalisten – vor allem aus den USA. Viele der innovativsten Radioformate, das muss man neidlos anerkennen, kommen zur Zeit aus den USA. Ich kann es deshalb kaum erwarten, mehr über modernes Radio im Internetzeitalter zu erfahren. Doch irgendwie heißt die erste Session, in der ich lande „Finding Your Visual Voice“. Sie öffnet mir die Augen.

„Vor zehn Jahren brauchte Radio keine Bilder“, sagt Kainaz Amaria. Heute leitet die Fotojournalistin ein ganzes Team beim amerikanischen Radio-Network NPR, das sich nur um die Optik kümmert. In ihrem Vortrag vermittelt sie einerseits die Grundlagen der Fotografie und gibt andererseits interessante Einblicke, wie und warum NPR in die Bildsprache investiert.

Bilder machen Radio sichtbar. Ein starkes Foto kann zusammen mit der richtigen Bildunterschrift dazu führen, dass ein Audiobeitrag angeklickt und angehört wird. Ein Bild, sagt Kainaz Amaria, könne durchs Internet treiben und Hörer auf die eigentliche Story aufmerksam machen. Und ich denke, ja, so sehr ich mich als Radiomensch auch von einem gut gemachten Audiobeitrag fesseln lasse, muss ich doch gestehen: Der Impuls, sich etwas on demand anzuhören wird nicht durch das Audio selbst ausgelöst. Unser lineares Medium lässt sich eben nicht in einem kurzen Augenblick erfassen. Es kann ein kurzer Text-Teaser sein, der mich dazu bewegt, auf den Play-Button zu drücken. Aber ein starkes Bild zieht meine Aufmerksamkeit am stärksten auf sich.

Nur: Wie bekomme ich ein starkes Bild zu meinem Beitrag? Wenn ich an etwas arbeite, dann hat das Audio die höchste Priorität. Ich konzentriere mich voll darauf, dass mein Interviewpartner gut klingt, dass ich die richtigen Fragen stelle, die Antworten dazu passen und die Geräuschkulisse stimmt. Ich habe die Aufnahmetechnik im Blick und im Griff. „Man muss Prioritäten setzen“, stimmt Kainaz Amaria zu. Aber das heiße eben nicht, dass ein Foto gar keine Priorität haben sollte. Ich möchte schließlich, dass mein Beitrag auch gehört wird. Und ein Foto kann da einen entscheidenden Unterschied ausmachen.

Dieses Foto von einer Karte der Güterzugrouten, die Minderjährige nutzen um an die Grenze zwischen Mexiko und den USA zu gelangen, erzählt eine eigene kleine Geschichte. Die Reporterin vor Ort hat, als sie das Foto gemacht hat, wahrscheinlich gar nicht daran gedacht, wie stark es ist. Es ist ein Nebenprodukt, vielleicht sogar ursprünglich nur zur Dokumentation und nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Aber wer aktiv anfängt, über gute Fotos nachzudenken, kommt schnell in einen Interessenskonflikt: Wann legt man das Mikrofon zur Seite und greift zur Kamera? NPR-Fotografin Amaria weiß das: „Man kann nicht eine gute Aufnahme und ein gutes Foto gleichzeitig machen.“ Aber: Auch wenn man beim Fotografieren einen guten Moment in der Audioaufnahme verpassen könnte – immerhin hat man dann ein Foto. „Alles, was ich will, ist ein gutes Foto“, sagt sie.

Oder eine Animation (muss ggf. ein Mal angeklickt werden, damit sie startet):

Das NPR Visuals Team zeigt sich experimentierfreudig. Animierte GIFs sind gerade angesagt im Internet. Warum also nicht ausprobieren, was man mit animierten GIFs anstellen kann? Man kann anscheinend die Ausbreitung des IS genauso damit darstellen, wie die wichtigsten Innovationen der Kartoffelchip-Produktion. Selbst wenn die GIF-Bildchen immer stumm daher kommen und somit alles andere sind als Radio: Sie ziehen Aufmerksamkeit auf sich, motivieren zum Weiterreichen in Sozialen Netzwerken und reichern eine Geschichte online an, statt sie nur anzuteasern. Ein weiteres Beispiel: dieses hypnotische GIF zeigt die Glasur von Salzstreuern.

Ross Mantle for NPR

Animation: Ross Mantle/NPR

Neben solchen kleinen Spielereien experimentiert das Team auch mit großen Projekten. Deren Ziel ist es, Inhalte zu produzieren, die für das Internet gemacht sind und die es so nur im Internet geben kann. Dazu gehört beispielsweise die Reportage Borderland, die mit einem Zähler beginnt, der veranschaulicht, wie viele Fahrzeuge und Fußgänger die mexikanische Grenze überqueren, wie viele illegale Immigranten dort aufgegriffen und wie viele Drogen konfisziert wurden, während der Besucher auf der Website unterwegs ist. Diese Experimente sind aufwändig. Nicht nur auf inhaltlicher Ebene bedeuten sie Neuland, sondern Radiomacher müssen sich dabei neben Bildern auch mit Programmcode (öffentlich zugänglich auf Github) und Benutzerführung auseinandersetzen. Beim Großprojekt Planet Money Makes A T-Shirt habe man zehn Tage vor der Veröffentlichung einer Episode Benutzertests gemacht und daraufhin vieles nochmal umgeschmissen, berichtet Kainaz Amaria.

 

Screenshot NPR Borderland

Screenshot NPR Borderland

Eine ganze Reihe weiterer Geschichten, bei denen Bilder im Vordergrund stehen, hat NPR im Blog Look At This versammelt. „Wir wissen wie NPR klingt. Dein Job ist es herauszufinden, wie NPR aussieht“, lautete ihre Dienstanweisung, als sie bei NPR anfing, sagt Amaria. Deshalb all die Experimente vom Smartphone-Foto über animierte GIFs bis hin zu Multimedia-Produktionen. Radiosender, ob NPR oder die Deutschlandradio-Programme, müssen ihre Bildsprache finden – und sie kontinuierlich den Entwicklungen im Web anpassen, um von der Anziehungskraft der Bilder zu profitieren.

Kainaz Amaria/NPR

Foto: Kainaz Amaria/NPR

„Ich bin dabei, Konservenbilder von unserer Website zu verbannen“, sagt Kanaz Amaria im Vortrag auf dem Third Coast Festival. „Wenn ich irgendwo ein Konservenfoto sehe, denke ich, dahinter steckt auch eine Konservengeschichte und klicke nicht darauf.“ Dann lieber ein authentisches Smartphone-Photo, gemacht vom Radioreporter und passgenau zu seiner Geschichte. Für Sendungen wie das Aushängeschild Morning Edition schickt das Visuals Team aber auch Profi-Fotografen los. Oder Amaria geht selbst raus. Als ein Reporter von einem Interviewtermin aus dem Büro des neuen Chefs der Zoll- und Grenzschutzbehörde in Washington zurückkam, sagte er ihr, sie solle beim Fototermin am nächsten Tag mal auf die Bilder von Ground Zero an der Wand achten. So entstand ein einzigartiges Portraitfoto, das perfekt zum Radiobeitrag passt.

Foto: Thomas Reintjes

Bei einem meiner letzten Beiträge ist mal wieder keine Zeit für ein Foto. Meine Interviewpartnerin hat nur von 10 bis 11 Uhr Zeit. Sie kommt zehn Minuten zu spät und ich habe viele Fragen. Während ich warte, mache ich als Gedächtnisstütze ein paar Fotos von dem Roboter, um den es geht. Er steht direkt vor einer Tür, ich kann ihn nur aus einem ungünstigen Winkel mit meinem Smartphone fotografieren. An der Tür hängende Zettel spiegeln sich im Display des Roboters. Auf Nachfrage der Redaktion schicke ich die Fotos später dann doch an DRadio Wissen. Und die Kollegen veröffentlichen sie tatsächlich. Meine Fotos, auf die ich nicht stolz bin, geben der Geschichte im Netz Authentizität und Unverwechselbarkeit. Und ich bin motiviert, beim nächsten Mal bessere Fotos zu liefern, auch wenn ich im Interview dann eine Frage weniger stellen kann.

Der Vortrag von Kainaz Amaria ist – ohne Bild, aber mit Vortragsfolien – online verfügbar.