Mobil, News, Social Media
20.05.2014

Die New York Times im Radio

Von

Vor wenigen Tagen wurde Jill Abramson als Chefredakteurin der New York Times abgesetzt. Kurz danach taucht ein interner, knapp hundertseitiger Innovationsbericht auf. Er zeigt: Auch die größte Zeitungsmarke der Welt kann den Digital Change nicht ohne Friktionen meistern. Aber was kann das Radio davon lernen? Sechs Thesen. 

Joshua Benton, der Leiter des Nieman Journalism Lab, ist ein eher zurückhaltender Mann. Als er 2010 auf dem SpeedLab Journalism von DRadio Wissen und Zeit Online in Berlin auftrat, trafen wir zwar auf einen bescheidenen Keynote Speaker. In der Sache aber ist Joshua Benton analytisch unbeirrbar und bestimmt. So äußerte er sich auch jetzt zum geleakten Innovationsbericht, den ausgerechnet das nicht unumstrittene US-amerikanische Newsportal Buzzfeed veröffentlichte.

New York Times

Das Smartphone ändert alles 

Sein Fazit: Der Report gehört zu den bemerkenswertesten Dokumenten der vergangenen Jahre und gibt tiefe Einblicke in die Herausforderungen des Digital Change. Die New York Times leidet. Sie leidet an Generationenkonflikten. Sie leidet am Tempo der technologischen Disruptionen und ist nicht in der Lage, sich der Dynamik ständig neuer Verbreitungswege anzupassen. Sie leidet an erodierenden Geschäftsmodellen. Aber was hat das alles mit dem Radio der Zukunft zu tun? Sechs Thesen:

1. Veränderung ist die neue Normalität. Für alle Medien. Und für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Medienhäusern. Digitale Change ist kein Gewitter. Digital Change ist die neue Klimazone, in der wir uns in den nächsten Jahrzehnten aufhalten werden. Wir sollten uns anpassen. In allen Bereichen.

2. Wir leben in der besten aller Zeiten. Unser Geschäftsmodell erodiert nicht. Angebote müssen nicht werbeoptimiert, sondern nur nutzungsoptimiert entwickelt und produziert werden. Mehr als je zuvor können wir Produkte entwickeln, die sich an journalistischen Standards und den Nutzungswünschen der Hörerinnen und Hörer orientieren. Eine größere Chance den „Public Value“ eines bundesweiten öffentlich-rechtlichen Angebots unter Beweis zu stellen, gab es nie.

3. Deshalb brauchen wir Mut. Mut sehr schnell und sehr langsam zu arbeiten. Wir brauchen den Mut, um zu experimentieren, den Mut lineares Radio im Netz auch mit einem linearen Liveblog zu begleiten, wie es DRadio Wissen macht. Wir brauchen aber auch den Mut, ausführliche Dossiers zu aktuellen und relevanten Themen zu kuratieren. Radio im Netz hat mehrere Geschwindigkeiten. Schnelle Newsblogs und anspruchsvolle Themencluster sind kein Widerspruch, wie auch Reportage und Kommentar kein Widerspruch sind. Formate sind komplementär – On Air und Online. Es geht immer nur um Qualität.

Agonie der Homepage

NYT.com als Beispiel. Die Agonie der Homepage

4. Content ist weiterhin King – aber Verfügbarkeit ist alles. Linear und nicht linear. Alle Angebote müssen überall verfügbar sein. Auf UKW, auf DAB+, mobil, in Appstores, auf Social-Media-Plattformen, auf YouTube, Spotify und Soundcloud. Das hat auch Konsequenzen für die Konfektionierung der Inhalte.

5. Das Deutschlandradio ist eine Relevanzagentur. Um aber einen Relevanzagentur zu bleiben müssen wir uns klar machen, dass wir im Netz mit allen konkurrieren. Newsseiten, Verkaufsportale, Partnerbörsen. Unsere starken Inhalte müssen deshalb noch sichtbarer und nutzbarer werden. Die Programme sortieren Themen nach Bedeutung und stellen Kontexte her. Online müssen diese Inhalte noch stärker in Clustern gedacht und angeboten werden. Usability ist der größtmögliche Dienst an der Hörer- und Nutzerschaft.

6. Ständige Innovation heißt auch ständiges Ideenmanagement. Es mangelt nicht an Ideen. Aber es braucht einen transparenten und nachhaltigen Umgang mit Ideen.

Weitere Thesen? Ergänzen Sie gern. Wir werden alle Thesen demnächst im Deutschlandradio.Lab diskutieren.